Do it yourself - wer braucht denn da noch Mitarbeiter?
Sie werden nicht bezahlt, brauchen kein Büro und keinen Betriebsrat. Viele Unternehmen würden sich solche Mitarbeiter wünschen. Überraschung – es gibt sie! Schon länger als man denkt und produktiver denn je. In stetig steigender Anzahl, meistern sie bereits bekannte Herausforderungen und versuchen sich in der Erledigung notwendiger Arbeiten in neuen Einsatzgebieten. Sie werden nur nicht Mitarbeiter genannt, sondern Kunden.
Viele Unternehmen lagern Arbeiten auf ihre Kunden aus und machen sie so zu: Handelsangestellten, Bankbediensteten, Fluglinienmitarbeitern, Designern, Produktexperten, Innovatoren, Markenbotschaftern oder einfachen Teilzeitbeschäftigten, welche als unbezahlte, informelle Arbeitskräfte in die betrieblichen Prozesse eingebunden werden. Vieles von dem, was früher Mitarbeiter eines Unternehmens erledigten, machen Kunden heute selbst. Tendenz – stark steigend!
Selbstbedienung, Self Service, Do it yourself – drei häufig verwendete Begriffe. Zum Selbermachen animiert, verwandeln sich Kunden in willige Arbeitskräfte und merken kaum, wie viel Arbeitszeit sie den Unternehmen schenken. Zählt heute also wirklich nicht mehr der Dienst am Kunden, sondern nur mehr der Kunde im Dienst?
Bis in die 1960er Jahre war das Prinzip der Selbstbedienung in Europa nahezu unbekannt, Supermärkte gab es nicht. Der Lebensmitteleinkauf war bis zu dieser Zeit eine umständliche und langwierige Angelegenheit. Für verschiedene Produkte musste man in verschiedene Geschäfte, wo die gewünschten Produkte für jeden Kunden einzeln geholt, von Hand abgewogen, verpackt und abgerechnet wurden. Ein Einkauf dauerte wesentlich länger als heute - dafür war er aber auch ein soziales Ereignis. Die Idee der Selbstbedienung kam aus den USA und verbreitete sich nach ein paar Anlaufschwierigkeiten rasend schnell. Viele Händler befürchteten anfangs, durch das Konzept der Selbstbedienung den engen Kontakt zu den Kunden zu verlieren und hatten Angst vor Diebstählen. Wo Kunden aber bis dahin gern den Empfehlungen des Händlers folgten, waren sie nun auf sich allein gestellt. Produkte mussten jetzt auf einmal für sich selbst werben, Neugier wecken und attraktiv erscheinen, um gekauft zu werden.
Die ersten Self Service Restaurants waren Schnellrestaurants, die Anfang der 1950er Jahre in den USA aufkamen. Perfektioniert wurde der Schnellservice von McDonald’s durch die rationelle Herstellung der Produkte, strikte Aufgabenteilung in der Küche, Selbstbedienung und die Möglichkeit zum Take-Away.
Die Do it yourself (DIY) Bewegung entstand ebenso in den 1950er Jahren unter Einfluss der Arts-and-Crafts-Bewegung in England und eroberte schnell den gesamten Kontinent. Später wurde sie geprägt von einem Glauben an Selbstermächtigung, Selbstorganisation, Improvisation, Eigeninitiative und oft einem Misstrauen gegenüber etablierter Autorität, gegenüber passivem Konsum, Produkten der Industrie und Vorgaben der Massenmedien. Zeitgleich gab es aber auch eine fortschreitende Kommerzialisierung des DIY Begriffes, beispielsweise durch die Eröffnung des ersten echten Baumarktes „Bauhaus“ in Deutschland. Ganze Heerscharen an Kunden wurden so zu fröhlichen Selbermachern.
Aber warum arbeiten Kunden auf eigene Verantwortung, freiwillig, gratis und jederzeit mit?
Drei Gründe könnten diese Motivation erklären.
- Kunden nutzen Self Services oftmals aufgrund des Wunsches nach zeitlicher und/oder räumlicher Flexibilität. Der Gang zur Filiale, unter Beachtung von Öffnungszeiten, entfällt – online sei Dank. Das Smartphone, welches immer griffbereit ist, wird mehr und mehr zur Schlüsseltechnologie, um dem Wunsch nach mehr Flexibilität, einfacherem Zugang und besserer Verfügbarkeit gezielt – online – zu begegnen.
- Vielen Kunden geht es um eine Kosten- und/oder Zeitersparnis, denn sie empfinden den klassischen – durch Mitarbeiter eines Unternehmens erbrachten – Service als oftmals wenig effizient. Eine aktive Beteiligung durch Self Services vermittelt diesen Kunden das Gefühl, effektiver, effizienter und smarter zu sein. Manche Kunden wollen mit Eigenleistungen aber auch ihre Kosten reduzieren – beispielsweise für Handwerkerleistungen – eine oftmals besondere Herausforderung für Unternehmen.
- Andere Kunden schätzen die aktive Beteiligung am Leistungserstellungsprozess, da es ihnen ein Gefühl der Kontrolle und Selbstständigkeit vermittelt. Der Kunde ist unabhängig von den Mitarbeitern eines Unternehmens. Ebenso entfallen eventuell auch Ängste missverstanden zu werden, oder sich durch Fragen vor den Angestellten lächerlich zu machen.
Bei Self Services geht es für den Kunden insbesondere um Usability - also um Themen wie, Übersichtlichkeit, Bedienbarkeit, Schnelligkeit, Zuverlässigkeit und Sicherheit.
Unterschiedlichste Self Services sind also längst wichtige Bestandteile der „Customer Journey“ und haben somit direkten Einfluss auf das individuelle Kundenerlebnis. Im persönlichen Kundenkontakt zählen vor allem Faktoren wie Freundlichkeit, Empathie, Kompetenz und Fachwissen der Mitarbeiter.
In Zeiten, in denen Kundenorientierung einer der wesentlichsten Erfolgsfaktoren ist, rückt der Kundenservice unweigerlich in den Blickpunkt des ökonomischen Handelns. Unternehmen müssen dabei die wirtschaftliche Balance zwischen Service-Exzellenz, Kundenzufriedenheit und Profitabilität sicherstellen. Automatisierte Self Services verursachen nur etwa 15% der Kosten, die ein persönlicher Kundenkontakt zu Buche schlägt, sollten aber kundenfreundlicher und erlebnisorientierter gestaltet werden um die „Customer Journey“ auch nachhaltig zu verbessern. Hier gibt es, auch in Bezug auf die fortschreitende digitale Transformation in Unternehmen, noch enorm viel Potential.
Ich denke hier zum Beispiel an meinen letzten Flug. Kurzstrecke. Nach dem fast schon zwanghaften Besuch eines Vergleichsportals „checkfelix oder check gar nix“ lande ich als geübter Fluggast, dann doch bei der Website der Airline, um meinen Flug zu buchen. Klappt mittlerweile eigentlich ganz gut, außer man hat das Pech, dass der Server der Airline wieder einmal überlastet ist und den gerade laufenden Zahlungsvorgang per Kreditkarte unterbricht. Na vielen Dank! Da befindet man sich nämlich urplötzlich weit weg vom Pfad der digitalen Autonomie in einem Irrgarten der Customer Realtions-, Buchungs- und Informationsnummern wieder. Nach gefühlten Ewigkeiten, aufgelockert durch eine Musikkulisse im Corporate Design, Werbebotschaften und Durchhalteparolen trifft man dann auf mehr oder weniger freundliche Call Center Mitarbeiter welche… na, Sie kennen das ja. Zum Glück eine Erfahrung, die mir in diesmal erspart geblieben ist. Diesmal hat wohl alles geklappt und die Bestätigungsemail gibt mir die Sicherheit meinen Job als temporäre Reisefachkraft erfolgreich erledigt zu haben. Natürlich erledige ich vor dem Start meiner Reise dann noch das Check-In, wähle den passenden Sitzplatz, bestätige alle sicherheitsrelevanten Fragen und drucke mir mein Ticket aus – mindestens so professionell und mir selbst freundlich gegenüber – wie jeder durchschnittliche Check-In Mitarbeiter. Am Flughafen angekommen merke ich recht schnell, dass die bis dato mit echten Menschen als Mitarbeitern besetzten „Baggage Drop-Off“ Schalter durch Gepäckaufgabeautomaten ersetzt wurden. Kein Problem, ich erweise mich auch an diesem Prozessschritt als motivierte Teilzeitkraft, befestige die Klebebanderole mit dem Strichcode für meine Destination und entlasse meinen Koffer in die Tiefen der Gepäckbeförderung. Angefangen hat dieses „Selbermachen“ doch eigentlich schon mit dem Gemüseabwiegen im Supermarkt, oder? Fällt mir irgendwie gerade ein. Interessanterweise treffe ich bei der Sicherheitskontrolle wieder auf echte Menschen. Anscheinend müssen unangenehme Tätigkeiten weiterhin durch Mitarbeiter erledigt werden. Am Gate angekommen, und auf Grund einer Abflugverzögerung, welche von der Dame hinter dem Schalter nicht einmal erwähnt wird und über die ich dank meiner sorgfältigen Check-In Arbeit nur in elektronischer Form, also per Email informiert werde, habe ich noch Wartezeit. Nun steht man vor dem Gate und spürt auf einmal einen echten Energiebruch. Vorher, wo man alles selbst erledigt hat, ging es viel zuverlässiger und schneller – und jetzt? Welchen Mehrwert hat die Dame am Schalter eigentlich? Alle Fluggäste haben bereits selbst eingecheckt und warten mit der Bordkarte als Ausdruck oder am Smartphone, dass man zum Flugzeug weiter kann. Als es dann endlich losgeht, fungiert die Mitarbeiterin am Schalter nur als Beobachterin, bestenfalls noch als Ordnungskraft für die Passagiere, welche ihren Boardingpass ohnehin selbst scannen, um das Tor zu öffnen. An Board selbst wird einem wieder bewusst, wie wenig notwendig – Notfälle ausgenommen - eigentlich Flugbegleiter sind. Nach einem monotonem „Willkommen, Hallo, Willkommen, Hallo,…“ verstaut man selbst sein Handgepäck und nimmt seinen Platz ein. Zeitungen hat man bereits in Selbstbedienung am Gate mitgenommen. Nach einer unmotivierten „Sicherheitsdemo“ werden im Stil einer Kantinenausgabe Snacks, die meist niemandem schmecken, unter das Volk gebracht, gefolgt von kalten und warmen Getränken. Eine Tätigkeit, welche sicher ohne größere Probleme auch als Selbstbedienung funktionieren würde. Nach der Landung wartet man auf sein Gepäck und muss hoffentlich nur in Ausnahmefällen den Lost & Found Schalter aufsuchen – übrigens wieder eine unangenehme Tätigkeit, welche von echten Menschen ausgeführt werden muss.
Die Mitarbeit als Kunde ist also heute bereits ein fester Bestandteil unserer Dienstleistungsgesellschaft geworden und Unternehmen können ihren Kunden in einem oder mehreren der folgenden fünf Bereiche „beschäftigen“.
- Als Teilzeitmitarbeiter hat der Kunde relativ wenige Wahloptionen, wie hoch sein eigener Leistungsanteil sein soll. Oft sind es Selbstbedienungskonzepte für jene Kunden, die bereit sind einen hohen Eigenleistungsanteil zu erbringen, meist um Geld zu sparen. Was wäre Ikea ohne seine Kunden in ihrer Tätigkeit als Selbstberater, Planer, Lageristen, Kassierer, Spediteure, Möbeltischler und Verpackungsmüllentsorger.
- Als Informationsgeber für das Unternehmen selbst, durch den Einbezug der Kunden mithilfe von Befragungen, Beschwerdemanagement oder dem Social Media Management über besonders positive, aber auch besonders negative Erfahrungen des Kunden mit dem Unternehmen. Zum anderen, auch als Produkt- oder Anwendungsexperte für andere Kunden des Unternehmens. Wer hat nicht schon mal folgende Anfrage von Amazon erhalten: „Können Sie, als Käufer von [Produkt], diesem Kunden bei seiner Frage helfen?“
- Als Markenbotschafter, denn immer mehr Kunden machen ihre Kaufentscheidung von persönlichen Empfehlungen ihnen nahestehender Personen abhängig. Warum Kunden also nicht gleich zu Promotoren, der von ihnen gerade gekauften Produkte und Dienstleistungen, machen? Ein solches Empfehlungsmarketing – durch glaubwürdige, unbezahlte Markenbotschafter – kann im direkten persönlichen Austausch, oder durch das massenweise Weiterleiten von entsprechenden Inhalten auf Instagram, Facebook, Youtube usw., erfolgen. Ganz nach dem Motto: „Das musst du sehen!“ Verkaufen wird damit zu einem gemeinschaftlichen Unterfangen, das den einstigen Verbraucher zum kreativen Sales Assistenten macht.
- Als Co-Produzent oder Prosumer wird der Kunde in die Leistungserstellung von Dienstleistungsprozessen – wie zum Beispiel beim Ticket-Kauf oder beim E-Banking – integriert und erledigt Aufgaben, die ansonsten ein Mitarbeiter erledigen müsste. Es kann sich dabei aber auch um die individuelle Konfiguration eines Autos, oder um die persönliche Gestaltung eines T-Shirts handeln.
- Als Co-Innovator werden in Zusammenarbeit mit dem Kunden Innovationen entwickelt. Diese Form der Zusammenarbeit auf Augenhöhe empfinden Kunden oft als Wertschätzung und sie profitieren im Idealfall durch diese Chance auf die Verfügbarkeit bedürfnisorientierterer Produkte. Unternehmen stellen aber oftmals auch Toolkits, Beta- oder Entwicklerversionen ihrer Produkte zur Verfügung, mit denen Kunden dann im Trial-and-Error-Verfahren alle Innovationsschritte selbstständig durchführen, laufend Feedback geben und Unternehmen schlussendlich nur mehr die Fertigung und den Vertrieb der so entwickelten Produkte übernehmen. Die Studie „User-generated versus designer-generated products“ zeigt, welche Vorteile Open Innovation und Crowdsourcing für den Handel bieten können. In Kooperation mit dem japanischen Retailer Muji untersuchten die Forscher, ob es Unterschiede in den Verkaufszahlen von Produkten gibt – in diesem Fall Möbel – wenn sie von Konsumenten entworfen wurden oder aus der hauseigenen Designabteilung stammten. Das verblüffende Ergebnis: Im ersten Jahr nach der Produkteinführung waren die Verkaufserlöse der nutzergenerierten Objekte dreimal so hoch wie die aus der Designschmiede. Diese Effekte verstärkten sich über die Jahre noch. Drei Jahre nach Markteinführung, so die Autoren, hatten mehr Produkte „überlebt“, die von Kunden gestaltet wurden, als solche, die von Designern entwickelt wurden.
Kunden wollen sich mit ihren unterschiedlichen “Do it yourself” Wünschen nicht aus dem traditionellen Wirtschaftssystem ausklinken, erwarten sich aber an jenen Kontaktpunkten, an welchen sie mit Mitarbeitern des Unternehmens persönlich interagieren eine entsprechende Dienstleistungsqualität und ein nachhaltig positives Kundenerlebnis.
Natürlich müssen Unternehmen auch auf ihre Kosten achten, wer aber nur die digitale Transformation mit ihren zahlreichen Möglichkeiten für neue Self Services im Blick hat, läuft Gefahr, die Gesamtstrategie aus den Augen zu verlieren. Wer nicht erkennt, welchen Wert der Mensch für die Dienstleistungsgesellschaft hat, darf sich nicht wundern, wenn Kunden sich abwenden und versuchen, sich irgendwie selbst zu helfen. Nur funktioniert das eben nicht immer, und genau deshalb braucht man die Dienste qualifizierter Fachkräfte. Mitarbeiter, welche mit viel Empathie begeisternde Erlebnisse schaffen! Etwas, nach dem sich der Mensch in einer technologiegetriebenen Welt immer mehr sehnt, denn mitten in der Digitalisierung kehrt das Sinnliche, Anfassbare und Haptische, das Konkrete und Sensible mit aller Macht zurück. Aus der eingespielten Symbiose von Mensch und Maschine müssen zukünftig neue Modelle entstehen, die dem Menschen und seinen Emotionen wieder Raum geben.